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Buchbesprechung: EPOCHENWECHSEL

Rolf Peter Sieferle

In der abendländischen Tradition des Mittelalters wurde Menschen versprochen dass sie im Jenseits dafür belohnt würden, wenn sie in ihrer diesseitigen Lebensform ein frommes und gottgefälliges Leben führen. Dieses Versprechen, also diese in Aussicht gestellte Belohnung, sollte als Motivation der Menschen dienen sich in ihrem Leben, im Hier und Jetzt, also der Gegenwart zu verwirklichen. Ihre Transzendenz war also völlig auf ein Leben nach dem Tod orientiert. Der Liberalismus orientiert sich aber vollkommen auf den Ist-Zustand der Gegenwart. Der Belohnungseffekt wird also in die Gegenwart transferiert und generiert unter der Formel des Fortschritt und Prosperität ein Zustand des Glücks. Es kommt dabei beispielsweise nicht auf die Qualität, sondern nur auf die Quantität an.. Unter dem Deckmantel dieses Fortschritts oder auch im negativen Kontext, des Rückschritts kann man alles was einem in vergangenen Zeiten im Jenseits versprochen wurde sofort im Diesseits genießen und man soll es auch. Erfolg und Misserfolg sowie ihre Konsequenz werden somit in die Gegenwart transferiert und der Mensch, als seines Glückes Schmied kann diese Früchte oder auch diesen Verlust sofort erleben. Man wartet nicht mehr sein ganzen Leben lang auf ein verheißungsvolles Jenseits, sondern findet sich bereits im Paradies oder eben auch einer Hölle auf Erden wieder.

Als Beispiel für diese ganz auf das Diesseits ausgerichtete Orientierung eines Menschenlebens möchte ich an dieser Stelle die Welt der Videospiele anführen, die dem heutigen „Homo sapiens digitalis“ als Zeitvertreib und Ablenkung par exellence zu dienen scheint. Es handelt sich dabei nicht nur um eine besondere Form die Zeit totzuschlagen sondern mutiert in vielen Fällen zu einem wahren „Vernichter von Zeit“. Man taucht bei diesen Spielen in andere Welten und nimmt andere Rollen an, interagiert mit anderen Charakteren, ob nun künstliche Intelligenz oder echte Humanoide dahinter stecken soll dabei keine Rolle spielen und greift nicht selten auf bekannte Anachronismen sowie Verhaltensmuster zurück. Vergangene Epochen, ethische Vorstellungen und Moralitäten werden in solchen Spielen heraufbeschwört, die nicht selten den tatsächlich propagierten Wertevorstellungen in der analogen Welt in vielerlei Hinsicht widersprechen. In diesen Spielwelten huldigt man der Oberflächlichkeit und Plattheit einer sich selbst überdrüssigen Realität, welche die eigene Tiefgründigkeit schon lange verloren hat.

Die Sehnsucht nach spirituellen oder auch konservativen Inhalten wird in vielen Handlungsabläufen deutlich und der Verlust der Mystik, des Okkulten wird in solchen virtuellen Räumen durch entsprechende Avatare kompensiert.

Den Liberalismus kennzeichnet für Sieferle seit 1789 und besonders zu Beginn der Industrialisierung das sogenannte „freie Spiel der Kräfte“ welches einer Selbstregulation folgt. Im Kapitalismus spricht man von der Regulation der Märkte durch die unsichtbare Hand. Im Politischen galt bis zu diesem Zeitpunkt die von Gott gegebene Ordnung oder den von Gott autorisierten Herrscher und seinen uneingeschränkten Willen und Zentrum der Macht.

Der freie Wille setzt im Liberalismus nun auf die Mündigkeit und Freiheit jedes einzelnen Individuums. Da aber der Mensch in seiner Unvollkommenheit und seinen Egoismen immer wieder Ungerechtigkeit erzeugt finden wir in liberalen Gesellschaften der späteren Zeit den Sicherungsanker namens „Sozialstaat“. Diese Institution verhindert allzu große Verwerfungen und Ungerechtigkeiten und nivelliert die Diskrepanz zwischen persönlichem Handeln und gesellschaftlichem Anspruch.

Bekanntlich appelliert auch der Kommunismus als Subform des Liberalismus an die Vernunft des Menschen. Er will die Grundproblematik der Gefahr ungleicher Voraussetzungen den der Liberalismus verursachen kann reformieren und sein Lösungsansatz ist die Umverteilung ungleich verteilter Ressourcen.Sozialismus ist per Definitionem also Vernunft zu der die Tugendhaftigkeit jedes Individuums hinzuaddiert wird.

Es besteht bei beiden Modellen, dem Kommunismus und Liberalismus, dasselbe Grundproblem: Eine Idealvorstellung des Menschen, die nicht der Realität entspricht. Der Anspruch, der an den in diesen Systemen lebenden Menschen ist zu hoch und kann auch durch einen ganzen Katalog an ethischen Grundsätzen sowie Verhaltensmustern nicht erreicht werden.

Im Nationalismus finden wir nun das Grundprinzip des elitären Gedankens, des Besonderen und der Alleinstellung oder der Abgeschlossenheit einer Gruppe. Der Partikularismus und das Selbstbestimmungsrecht der Völker steht nun im Widerspruch zu den Universalisten. Die Problematik des Nationalismus besteht für Sieferle darin, dass er zwar nach außen hin eine Individualität, eine Gemeinschaft in Form von Völkern und Nationen, mit gemeinsamer Tradition, Kultur und Sprache propagiert jedoch gleichzeitig nach innen hin diese Individualität des einzelnen Individuums zugunsten der Gemeinschaft aufhebt und eine Allgemeinheit schafft in der sich jeder einzelne Bürger zurücknimmt und zugunsten der Gemeinschaft auf seine persönlichen Selbstverwirklichung verzichtet.

Hegels „Welt“- oder „Volksgeist“ als übergeordnete Instanz, der Völker und Nationen verbindet und umschließt auf der einen Seite und der „romantisch“ oder „völkische“ Nationalismus, mit seinem Ethnopluralismus bilden jeweils weitere Subformen des Nationalismus.

Im weiteren führt Sieferle die vier Gruppen von Gegner für Traditionalisten und Konservative auf:

1. Intellektuelle im Innern, die sich von der propagierten Ära einer „Herrschaft der Vernunft“ einen sozialen Machtgewinn als Herren der Interpretation oder des Plans erhoffen und deshalb darangehen, im Sinne des Klassenkampfes oder des liberalen Individualismus nationale Bestände auflösen.

2.Vertreter von kulturellen oder völkischen Minoritäten, namentlich Juden, deren Selbstbehauptungsstrategie darauf zielt, die nationale Identität des dominanten Volkes zu unterminieren, um als Gleiche unter Gleichen soziale Macht bzw. Rangerhöhung zu erleben, oder gar als solche auf den ersten Blick nicht erkennbare Herrschaft anzustreben.

3. Kapitalisten, deren anvisierte plutokratische Herrschaft voraussetzt, daß nationale Schranken und völkisch-tradierte kulturelle Besonderheiten dem abstrakten Universalismus des Geldes und des Weltmarkts weichen.

4. Die imperialistischen Kolonialmächte, die mit Hilfe universalistischer Propaganda die nationale Selbstbehauptung unterdrückter bzw. aufstrebender Völker und Nationen durch kulturelle Entwaffnung unterbinden wollen. Ein solche Internationalismus als Werkzeug nationaler Interessenvertretung kann allerdings nur so lange erfolgreich sein, wie der Hegemon eine reale Überlegenheit besitzt ( ähnlich wie Freihandel nur dem ökologisch Überlegenen dient ).

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